ZU PASSE VITE (H.G. 2009)
Das Passevite ist ein Haushaltgerät, das im täglichen Leben der Essenzubereitung dient – eine Nahrungsmühle, ein Trichter mit Drehkurbel an deren unterem Ende eine Dreiviertelscheibe mit aufgebogener Öffnung über einem Lochsieb dreht, alles Ganze erfasst, durch das Sieb presst und in einfach zu kochende Partikel zerlegt. Was einmal eine ganze Kartoffel war, wird zu amorphem Mus. Der pürierte Brei kann unter Zugabe von Flüssigkeit bis zur Unsichtbarkeit aufgelöst werden, wobei seine Essenz weiterhin wirksam bleibt. Mit anderen Zutaten versetzt wird er knetbar und setzt dem Formtrieb kaum Grenzen, bevor er durch uns verzehrt und abermals eine Wandlung durchläuft.
Passevite ist eine Durchgangsstation: Passage, passer, Le pas, la passée, passeport und vite - vite! vita, vitae, La vie, fallen mir dazu ein. In Deutschland heisst das Passevite Flotte Lotte. In Frankreich auch Passetout. Ob „vite“ oder „tout“, schnell muss es gehen und - wie der Name verspricht - alles passieren, durchpressen können. Passevie: In kleinen Schrittchen vergeht das Leben – vite, vite! Passevite ist ein Ausruf, ein Imperativ. Wenn sich etwas in den Trichter Gefallenes jedoch nicht mehr so schnell und problemlos durchsieben lässt, den normierenden Löchern zu gross ist, seiner Härte wegen sich jeder Pürierung verweigert - verklemmt, blockiert das drehende Lebensrad der Fortuna: Stillstand. Manchmal möchte ich das Räderwerk anhalten, einen Schritt unterbrechen, eine Zäsur einschalten – wie beim Filmriss hinge der Fuss in der Luft - bevor er wieder die Erde berühren würde um zum nächsten „pas“ abzuheben. |
Beim Kritzeln, Schaben, Zeichnen, Malen gelingt es mir zuweilen, das Licht einzufrieren. Die Zeit verliert ihre Sekunden, scheint sich zu verflüchtigen. Aus dem Leeren tauchen vage Bilder, bruchstückartige Filmsequenzen von Erlebnissen, Empfindungen auf. Auge und Hand malen, während das Ohr die Musik hört, die den Raum ausweitet und Gedanken kreisen. Der Zyklus PasseVite ist eine ungenaue, persönliche, fragmenthafte Sicht auf die Zeit zwischen 1987 und 2001. Im Unterschied zu andern entstandenen Zyklen arbeitete ich hier oft mit rasch trocknenden Industrielacken (Acryl- oder Alkydharz), die mich zu einer schnellen, fast automatischen Zeichensetzung zwangen: ça passe vite. Später überarbeitete ich die so entstandenen Bilder, die mir dann als Katalysatoren dienten, Gedanken an Erlebtes, Vergangenes und zukünftig Mögliches in Gang zu bringen: Reflexionen zum schnell vorüberziehenden Leben, Gedanken über Liebe, Geburt, Heranwachsen, Vergänglichkeit und Tod - Passe Vie. Das Über- und Ummalen war für mich eine notwendige „Zeitbremse“, die es mir ermöglichte, glücklichen Momenten ein wenig mehr Dauer zu verleihen oder Bedrückendes in alle Richtungen zu kneten, bis etwas von seiner Schwere in atavistischer Weise gebannt werden konnte. In diesem Sinne sind die PasseVite Arbeiten Momentaufnahmen, Samplings eines Prozesses. |