Animationsfilm
Nicht nur Esswaren haben ein Verfallsdatum
Die Rubrik „Animationsfilm“ füge ich hinzu, weil es einige Querverbindungen zu hier abgebildeten Arbeiten gibt.
Die unten erwähnten Filme stammen aus der Steinzeit des Animationsfilms, der analogen Produktion – und – ich geniere mich fast ein wenig – kann die spärlichen Überbleibsel meines Filmschaffens auch kaum mehr anschauen, dermassen haben sich Qualität und Möglichkeiten mit der Entwicklung des digitalen Films verbessert. Es war der Knochenwurf des Höhlenmenschen, der sich in der Luft drehende Knochen, den Kubrick im Dreiviertel Takt zum Raumschiff wandelte.
In den siebziger und achtziger Jahren schoben wir noch im heissen, polarisierten Scheinwerferlicht, schwarz gekleidet (um Reflexe auf den Acetatfolien zu vermeiden), die handgemalten Cells auf den Tisch des Rostrums ( 3m hohes Trickfilmgestell) unter die schwere 35mm Kamera und drückten den Auslöser 24 mal für eine Sekunde Film. Für Kamerafahrten drehten wir millimetergenau diverse Handräder, wie an einer Drehbank für Schlosser. Für die Vertonung mieteten wir uns nachts (Tagestarife waren zu teuer) im 250 Quadratmeter grossen Tonstudio ein. Heute hat alles, vom Zeichentisch bis zum Vertonungsstudio, im Laptop oder gar im Handy platz.
Aus familiären und beruflichen Gründen verliess ich die Filmsparte und fokussierte mich auf die Malerei. In meiner Lehrtätigkeit am Literargymnasium versuchte ich teilweise neue Entwicklungen interessierten Studierenden weiterzugeben. In den neunziger Jahren brachte die Softwareschmiede disruptive, mächtige Programme für den Animationsfilm auf den Markt. Meinen Rückzug bereute ich nie: Viele talentierte Schülerinnen und Schüler überholten bald ihren Lehrmeister und erfreuten mich mit kreativen, grossartigen Arbeiten.
Filmografie:
„Die Wallfahrt“ Animationsfilm 6’ S8mm 1973
Film verschollen
„Bundesanwalt Walder klagt an“ (cut outs, animierte Collagen) 16mm, 4’20“ 1974
Ein Streich gegen die schweizerische Zensurbehörde: sogenannt erotische Aufnahmen entpuppen sich als harmloses, kitschiges Porzellangeschirr.
Film verschollen
Zu „La Forza Del Destino“
Der Eros in der Musik bedient sich zuweilen auch kriegerischer Töne. Was die junge Frau Preziosilla aus Verdis Oper „La Forza Del Destino“ leidenschaftlich hinausschmettert („È bella la guerra! Èvviva la guerra!“), war für mich eine fragwürdige Erfahrung, die mir Anlass zu einer kleinen zynischen Randbemerkung zu einer grossen Oper gab: Ein Einakter über Verführung und Verliebtheit mit fatalem Ende.
H.G., London 1975
Award for best animation LIFS 76, Prix Henri Langlois, Toulouse 77, Prix Cinégram Solothurn 78 - Selektioniert für Filmfestivals : Oberhausen 76, London 77, Edinburgh 77, Tampere 77, Thessaloniki 77
Zu „The four seasons“
Grosse musikalische Einfälle laufen leider Gefahr durch exzessive Verbreitung und Wiederholung zu akustischen Stereotypen degradiert zu werden.
In „the four seasons“ spielte ich einerseits mit einigen dieser auditiven Glücksbringern und kombinierte sie mit Betthupferln aus der trivialen Welt der Süsswaren Ästhetik. Anderseits beobachtete ich in einem Londoner Kaffee, wie sich zwei ältere Damen, aus dem gegenüberliegenden Konzerthaus kommend (über dem Eingang wurden Vivaldis Jahreszeiten angekündet), ins Kaffeehaus setzten und ausser grossen Kuchenbestellungen kommunikationslos - nahezu religiös-rituell ihren leiblichen Genüssen frönten. Ich stellte mir vor, wie sie ein Mittel gefunden haben, würdig zu transzendieren, der tristen Vergänglichkeit mit viel „sugar and clotted cream“ zu entfliehen.
H.G. London 1976
The Four Seasons: Animationfilm, 35mm, 4min50, London 1976
Prix Cinégram Solothurn 77 – Selektioniert für die Filmfestivals London 76, Viennale Wien 77, Bilbao 77, Krakau 77, Oberhausen 77
Zusammen mit 15 weiteren Autoren auf DVD 42111 „The best of Swiss Animation“ Herausg. Filmwissenschaft UNI Zürich (Dr.Eva Küttel) © Praesens-Film AG 2011
Zu „Sunset at 7.30 p.m“.
„Sunset at 7.30 pm“ ist eine Paraphrase zu Breughels Bild von 1568 - „Das Gleichnis von den Blinden“. Ich habe mich gefragt, welchen Spiegel Breughel heute unserer Industriegesellschaft mit ihren Profitmaximierungen, Konsumptionszwängen, Ressourcenfeldzügen, ....vorhalten könnte und fokussiere dabei auf die „schönsten Tage im Jahr....“ – den für die Leistungsbereitschaft der Arbeiter vorrangigen Stimulus – die Ferien. Dabei geht es mir in „Sunset“ nur vordergründig um Touristen sondern vielmehr um die Frage nach dem Menschen der dahinter steckt, auf seiner Suche nach Horizonterweiterung, Erfüllung und Glück. Mich beunruhigt sein synchronisiertes, wie programmiert wirkendes Verhalten.
Ferien wären Tage ohne Sachzwänge, Tage an denen der Mensch ein bisschen Freiheit schnuppern, sich selbst verwirklichen könnte. Statt dessen setzt er sich in eine Blechbüchse auf Rädern, lässt sich zu den aus dem Boden gestampften Scheinwelten der industrialisierten Touristendestinationen fahren und trippelt dort im Tretrad der Kapital hortenden Massentourismus-Oligarchen, das besonders rund läuft, wenn alles Individuelle ausgeschaltet ist, Mensch und Umwelt konfektioniert und domestiziert sind. Er bewundert und fotografiert auf Kommando, entwickelt stereotype Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster.
7.30 p.m. ist der kalkulierte Zeitpunkt für das programmierte Erlebnis. Die Sonne fällt, die Konturen der Objekte lösen sich auf. Es wird kalt - das Sehen erlischt. Jetzt beginnt das Herumtappen der Blinden. Nur nicht vom Pfade abweichen, sich festhalten am Vordermann – Führer befiel, wir folgen dir! H.G.1984
„Sunset at 7.30 p.m.“ Animationsfilm 16mm, comopt, 17 Minuten, Luzern 1983
Mitarbeit: Christoph Hirtler, Altdorf, Regina Roost, Philippe Braun
Prix cinégram 79 (Drehbuch), Solothurn 84 (bester Kurzfilm), Leibzig 84 (Diplom) – selektioniert für Filmfestivals: Locarno 84, Bilbao 84, Clermond Ferrand 84, XV.Alala de Henares, Spanien 85, Madrid 85 (F.Internat.), Strasbourg 85 (13. human rights), Selb 85, Reutlingen 85, Paris 85 (F.I. du film d’art, Centre Pompidou), Hiroshima 85
„Energiefelder“ Animationsfilm
16mm, 4’, (Animierte Acrylbildprozesse) 1986 vergl. Serie „Energiefelder“ Film verschollen
Grundlegende Idee war mit filmischen Mitteln die Dimension Zeit des Malers ins Bild zu bringen und Vorgänge der sich verändernden Energiezustände sichtbar zu machen. Die auf der Leinwand zuerst aufgetragenen Farbschichten (2 – 4 Grundschichten) wurden teilweise abgedeckt, übermalt, die Abdeckungen dann schrittweise entfernt (Décollage) und der ganze Vorgang mit Einzelbildern (Pixilation) unter polarisiertem Licht auf 16mm Film aufgezeichnet. Der Film ist verschollen. Die Bilder „Energiefelder-Noise Signals“ zeigen den Endzustand des Bildprozesses. Bei Räumungsarbeiten habe ich zufällig noch einige Sekunden aus einem 16mm Test-Vorspann (vergleiche Bilder „Energiefelder“) gefunden.
In der Art meiner zyklischen Arbeitsweise spielte ich 2021 mittels einem alten Photoshop Programm (CS 3) und den Resten aus dieser Bilderserie herum, was zur kleinen, holprigen Reminiszenz an die Arbeiten aus dem Jahre 1986 führte (vergl. EF 3/21).
Nicht nur Esswaren haben ein Verfallsdatum
Die Rubrik „Animationsfilm“ füge ich hinzu, weil es einige Querverbindungen zu hier abgebildeten Arbeiten gibt.
Die unten erwähnten Filme stammen aus der Steinzeit des Animationsfilms, der analogen Produktion – und – ich geniere mich fast ein wenig – kann die spärlichen Überbleibsel meines Filmschaffens auch kaum mehr anschauen, dermassen haben sich Qualität und Möglichkeiten mit der Entwicklung des digitalen Films verbessert. Es war der Knochenwurf des Höhlenmenschen, der sich in der Luft drehende Knochen, den Kubrick im Dreiviertel Takt zum Raumschiff wandelte.
In den siebziger und achtziger Jahren schoben wir noch im heissen, polarisierten Scheinwerferlicht, schwarz gekleidet (um Reflexe auf den Acetatfolien zu vermeiden), die handgemalten Cells auf den Tisch des Rostrums ( 3m hohes Trickfilmgestell) unter die schwere 35mm Kamera und drückten den Auslöser 24 mal für eine Sekunde Film. Für Kamerafahrten drehten wir millimetergenau diverse Handräder, wie an einer Drehbank für Schlosser. Für die Vertonung mieteten wir uns nachts (Tagestarife waren zu teuer) im 250 Quadratmeter grossen Tonstudio ein. Heute hat alles, vom Zeichentisch bis zum Vertonungsstudio, im Laptop oder gar im Handy platz.
Aus familiären und beruflichen Gründen verliess ich die Filmsparte und fokussierte mich auf die Malerei. In meiner Lehrtätigkeit am Literargymnasium versuchte ich teilweise neue Entwicklungen interessierten Studierenden weiterzugeben. In den neunziger Jahren brachte die Softwareschmiede disruptive, mächtige Programme für den Animationsfilm auf den Markt. Meinen Rückzug bereute ich nie: Viele talentierte Schülerinnen und Schüler überholten bald ihren Lehrmeister und erfreuten mich mit kreativen, grossartigen Arbeiten.
Filmografie:
„Die Wallfahrt“ Animationsfilm 6’ S8mm 1973
Film verschollen
„Bundesanwalt Walder klagt an“ (cut outs, animierte Collagen) 16mm, 4’20“ 1974
Ein Streich gegen die schweizerische Zensurbehörde: sogenannt erotische Aufnahmen entpuppen sich als harmloses, kitschiges Porzellangeschirr.
Film verschollen
Zu „La Forza Del Destino“
Der Eros in der Musik bedient sich zuweilen auch kriegerischer Töne. Was die junge Frau Preziosilla aus Verdis Oper „La Forza Del Destino“ leidenschaftlich hinausschmettert („È bella la guerra! Èvviva la guerra!“), war für mich eine fragwürdige Erfahrung, die mir Anlass zu einer kleinen zynischen Randbemerkung zu einer grossen Oper gab: Ein Einakter über Verführung und Verliebtheit mit fatalem Ende.
H.G., London 1975
Award for best animation LIFS 76, Prix Henri Langlois, Toulouse 77, Prix Cinégram Solothurn 78 - Selektioniert für Filmfestivals : Oberhausen 76, London 77, Edinburgh 77, Tampere 77, Thessaloniki 77
Zu „The four seasons“
Grosse musikalische Einfälle laufen leider Gefahr durch exzessive Verbreitung und Wiederholung zu akustischen Stereotypen degradiert zu werden.
In „the four seasons“ spielte ich einerseits mit einigen dieser auditiven Glücksbringern und kombinierte sie mit Betthupferln aus der trivialen Welt der Süsswaren Ästhetik. Anderseits beobachtete ich in einem Londoner Kaffee, wie sich zwei ältere Damen, aus dem gegenüberliegenden Konzerthaus kommend (über dem Eingang wurden Vivaldis Jahreszeiten angekündet), ins Kaffeehaus setzten und ausser grossen Kuchenbestellungen kommunikationslos - nahezu religiös-rituell ihren leiblichen Genüssen frönten. Ich stellte mir vor, wie sie ein Mittel gefunden haben, würdig zu transzendieren, der tristen Vergänglichkeit mit viel „sugar and clotted cream“ zu entfliehen.
H.G. London 1976
The Four Seasons: Animationfilm, 35mm, 4min50, London 1976
Prix Cinégram Solothurn 77 – Selektioniert für die Filmfestivals London 76, Viennale Wien 77, Bilbao 77, Krakau 77, Oberhausen 77
Zusammen mit 15 weiteren Autoren auf DVD 42111 „The best of Swiss Animation“ Herausg. Filmwissenschaft UNI Zürich (Dr.Eva Küttel) © Praesens-Film AG 2011
Zu „Sunset at 7.30 p.m“.
„Sunset at 7.30 pm“ ist eine Paraphrase zu Breughels Bild von 1568 - „Das Gleichnis von den Blinden“. Ich habe mich gefragt, welchen Spiegel Breughel heute unserer Industriegesellschaft mit ihren Profitmaximierungen, Konsumptionszwängen, Ressourcenfeldzügen, ....vorhalten könnte und fokussiere dabei auf die „schönsten Tage im Jahr....“ – den für die Leistungsbereitschaft der Arbeiter vorrangigen Stimulus – die Ferien. Dabei geht es mir in „Sunset“ nur vordergründig um Touristen sondern vielmehr um die Frage nach dem Menschen der dahinter steckt, auf seiner Suche nach Horizonterweiterung, Erfüllung und Glück. Mich beunruhigt sein synchronisiertes, wie programmiert wirkendes Verhalten.
Ferien wären Tage ohne Sachzwänge, Tage an denen der Mensch ein bisschen Freiheit schnuppern, sich selbst verwirklichen könnte. Statt dessen setzt er sich in eine Blechbüchse auf Rädern, lässt sich zu den aus dem Boden gestampften Scheinwelten der industrialisierten Touristendestinationen fahren und trippelt dort im Tretrad der Kapital hortenden Massentourismus-Oligarchen, das besonders rund läuft, wenn alles Individuelle ausgeschaltet ist, Mensch und Umwelt konfektioniert und domestiziert sind. Er bewundert und fotografiert auf Kommando, entwickelt stereotype Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster.
7.30 p.m. ist der kalkulierte Zeitpunkt für das programmierte Erlebnis. Die Sonne fällt, die Konturen der Objekte lösen sich auf. Es wird kalt - das Sehen erlischt. Jetzt beginnt das Herumtappen der Blinden. Nur nicht vom Pfade abweichen, sich festhalten am Vordermann – Führer befiel, wir folgen dir! H.G.1984
„Sunset at 7.30 p.m.“ Animationsfilm 16mm, comopt, 17 Minuten, Luzern 1983
Mitarbeit: Christoph Hirtler, Altdorf, Regina Roost, Philippe Braun
Prix cinégram 79 (Drehbuch), Solothurn 84 (bester Kurzfilm), Leibzig 84 (Diplom) – selektioniert für Filmfestivals: Locarno 84, Bilbao 84, Clermond Ferrand 84, XV.Alala de Henares, Spanien 85, Madrid 85 (F.Internat.), Strasbourg 85 (13. human rights), Selb 85, Reutlingen 85, Paris 85 (F.I. du film d’art, Centre Pompidou), Hiroshima 85
„Energiefelder“ Animationsfilm
16mm, 4’, (Animierte Acrylbildprozesse) 1986 vergl. Serie „Energiefelder“ Film verschollen
Grundlegende Idee war mit filmischen Mitteln die Dimension Zeit des Malers ins Bild zu bringen und Vorgänge der sich verändernden Energiezustände sichtbar zu machen. Die auf der Leinwand zuerst aufgetragenen Farbschichten (2 – 4 Grundschichten) wurden teilweise abgedeckt, übermalt, die Abdeckungen dann schrittweise entfernt (Décollage) und der ganze Vorgang mit Einzelbildern (Pixilation) unter polarisiertem Licht auf 16mm Film aufgezeichnet. Der Film ist verschollen. Die Bilder „Energiefelder-Noise Signals“ zeigen den Endzustand des Bildprozesses. Bei Räumungsarbeiten habe ich zufällig noch einige Sekunden aus einem 16mm Test-Vorspann (vergleiche Bilder „Energiefelder“) gefunden.
In der Art meiner zyklischen Arbeitsweise spielte ich 2021 mittels einem alten Photoshop Programm (CS 3) und den Resten aus dieser Bilderserie herum, was zur kleinen, holprigen Reminiszenz an die Arbeiten aus dem Jahre 1986 führte (vergl. EF 3/21).