AUS L.S. (H.G. 2010)
Bildnerische Tätigkeit ist für mich einerseits ein herausforderndes, spannendes, zweckfreies Spiel, bei dem ich ohne Fremdbestimmung, auch ohne grossen technischen Aufwand mit immanenten Sachzwängen, sehr direkt mit meinen Händen schaffen, löschen, verändern, neu entwerfen oder mit einem einzigen Strich einen stabilen Kontext ins Wanken bringen kann. Anderseits ermöglicht mir die Tätigkeit – wie schon in den Gedanken zu „PasseVite“ ausgedrückt - Versenkung, Träume, mentale Aktivität, die mir Zeit und Raum öffnet um Leben zu reflektieren und - vielleicht auch andere und mich selbst zu finden. Sicher spielt hier auch das originäre menschliche Bedürfnis mit, sich auszudrücken. Die Frage nach Kommunikation ist dabei nicht vorrangig. Also arbeite ich für die Schublade? Dazu habe ich einen interessanten Textausschnitt von Barnett Newman gefunden ( aus: „The First Man Was an Artiste“, in: „Tiger’s Eye“, New York,1,1, Oktober 1947, S 57-60, übersetzt):
„....Des Menschen erster Ausdruck war ein ästhetischer Ausdruck, wie auch sein erster Traum. Das Sprechen war ein poetischer Schrei ohne Anspruch auf Kommunikation. Der Urmensch stiess seine Konsonanten hervor aus Ehrfurcht und Wut über seinen tragischen Zustand, über seine Selbsterkenntnis und über seine Ohnmacht angesichts der Leere... Das Menschliche an der Sprache ist Literatur und nicht Kommunikation. Der erste Schrei war ein Lied; die erste sprachliche Begegnung mit dem Nachbarn ein Schrei aus Stärke und feierlicher Schwäche, nicht die Bitte um einen Schluck Wasser....“
Für mich hat eigenständiges, nicht konkurrenzierendes Arbeiten Priorität, auch wenn es abseits von kulturellen Normen und Trends steht. Marktkonforme Stildogmen widerstreben mir. Sie biedern sich an, indem sie des Rezipienten Bedürfnisbefriedigung nach Wiedererkennung und Schubladisierung oft zu stark entgegenkommen. Nicht selten behindern sie die eher aufs Experiment ausgerichtete freie Entfaltung und reflektieren den tatsächlichen Pluralismus unserer Zeit ungenügend.
Meine Arbeit ist lückenhaft, bruchstückhaft, diskontinuierlich, wie mein Leben. Durch Fragen, ob ich gegen- oder ungegenständlich oder überhaupt noch malen dürfe, lasse ich mich nicht einengen. Es gibt Phasen, in denen ich sehr nahe am Objekt arbeite, alles in meiner kleinen Welt implodiert, wo ich in schwierigen Zeiten nicht anders kann, als mich am unscheinbaren Objekt festzuklammern, mich in meine vier Wände zurückziehen muss, um mich zu sammeln, zu erden. Dann wieder Phasen, in denen sich das Objekt auflöst, verschwindet, wo Objekte nur noch Farbmaterie und Bildgrund sind oder nicht mehr sichtbar, nur noch akustisch als Arbeitsgeräusche ab Magnetband hörbar sind (Tonprotokolle L.S.).
Phasen oder Arbeitszyklen breche ich oft abrupt ab, weil mich neue Beobachtungen, Ereignisse, veränderte Lebenssituationen, andere Betrachtungsweisen beschäftigen. Vermeintlich abgeschlossene Zyklen habe ich aber manchmal nach Jahren, mit andern Erfahrungen und Erkenntnissen wieder aufgegriffen, als ob ich mich auf einer Spirale bewegen würde – so etwa der Zyklus „Lend-skab“, Landschaft, den ich hier mit Skizzen und Notizen etwas breiter wiedergebe.
ZUM ZYKLUS „LEND SKAB“ (LANDSCHAFT, L.S.) (H.G. 2010)
Meine erste analytische Auseinandersetzung mit der Ästhetik einer Landschaft verlief nicht über die Kunstgeschichte, sondern über architektonische Planungsprobleme an der ETH, wo die Dozenten Alfred Roth, Jaray und Hösli versuchten, uns unerfahrene Adepten für ein rücksichtsvolles Zwiegespräch zwischen Architektur und Natur zu sensibilisieren. Ich erinnere mich, wie wir über natürliche Räume, Gliederung und Sprache der Landschaft, Bauvolumina und natürliche Tektonik diskutierten und Entscheide von Baubehörden nicht verstanden, die grobe Terrassierungen zuliessen. Später, in kunstgeschichtlichen Studien, interessierte mich die Entwicklung der Landschaftsdarstellung von der untersten Stufe in der Hierarchie der darstellungswürdigen Motive des Trecentos hin zu einem spannenden und umfassenden Genre der Malerei. Obwohl mir bewusst wurde, wie vielfältig und weitläufig sich Ausdrucksmöglichkeiten und Experimentierfelder im Bereich Landschaft eröffnen, Landschaftsmalerei aber auch zum Topos von Galerien und Museen geworden ist, sich unzählige Bildtitel auf Orts- oder Landschaftsbezeichnungen beziehen und obwohl ich zu wissen glaubte, was unter Landschaft zu verstehen sei, wollte ich nicht einen Begriff verwenden, der mir plötzlich fragwürdig erschien.
Der Begriff Landschaft impliziert den Verweis auf etwas Gewalttätiges. Die Dichotomie Natur-Kultur schlägt hier durch: Sich Welt aneignen, bebauen, ausbeuten, sesshaft werden, setzen, sitzen, besitzen gehören dazu – kulturelle Leistungen, die auf den Übergang vom nomadisierenden Seth zum sesshaften Osiris verweisen. Sprachgeschichtlich betrachtet vollzieht sich im Wort Landein Wandel vom freien Land zum beherrschten Gebiet. Etymologisch geht Land auf das indogermanische „*lendh“ - freies Land, Heide, Steppe, zurück, russisch „ljada“ – Rodland, schlechter Boden, tsch. „Lada“, schw. „linda“ – Brache. Im germ. bezeichnet Land Staatsgebiet, im M.A. Gebiet einheitlichen Rechts, Rechtsverband, der das Land bebauenden und beherrschenden Leute. Geht vielleicht das englische „to lend“ auf geliehenes Land zurück?
"Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen »Dies gehört mir« und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: »Hütet euch, dem Betrüger Glaubenzu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört«." (Rousseau, 1750, Discours)
Im Wort Landschaft steckt auch das idg. „sqab“, „skap“, „skab“ – schaben, schneiden, kratzen, schnitzend gestalten, Geschabtes. Gr. skepton (skepton) - Stab (ist dies nicht das aus dem Zweig Geschnittene ?) skapos (skapos) – Zweig, lat. Scapus – Schaft, ahd. Skaft – Speer, „skaf“, „skaffan“ – schaben, aushöhlen, schöpfen, schaffen, „scape“, „shape“, „scapan“(old english) – engl. „create“, „form“, „ordain“...
In meinen früheren Arbeiten, den „synthetischen Landschaften“, sind zum Teil Empfindungen mit im Spiel, die auf Wahrnehmungen einer sich schnell verändernden Umwelt basieren. Als Angehörige der Nachkriegsgeneration erlebten wir seit den Fünfzigerjahren einen Wirtschaftsboom mit seinen Folgen: zunehmende Bevölkerungsdichte, steigende Ansprüche nach grösseren Wohnflächen, überhitzte Bautätigkeit (was auch zum Bundesbeschluss vom 13. März 1964 über die Bekämpfung der Teuerung durch Massnahmen auf dem Gebiete der Bauwirtschaft/Baustopp führte, 1965 vom Volk gutgeheissen wurde - und war auf persönlicher Ebene ein nicht unwesentlicher Grund, mich hinsichtlich des gewählten Berufsziels neu zu orientieren),sowie eine explodierende Mobilität.
Wo wir als Kinder Wiesen durchstreiften, uns an Hecken und Bäumen orientierten, beim Verschieben von Steinplatten darunterliegende Blindschleichen entdeckten und sie, auf Distanz gehend, als gefährliche Giftschlangen einstuften – ist heute alles überbaut; Lärmschutzwände, Asphalt dominieren und anstatt Giftschlangen beängstigen Autoschlangen jetzt die Kinder.
Der erhabene Schauer vor den in den letzten Strahlen aufglühenden Berggipfeln des St. Gotthards wird heute durch tiefer Liegendes ausgelöst: Blicke auf Tunneleingänge, auf Felsen fressende Monster, Kompressoren, Täler füllende Betonpisten, Blicke auf Schürfgebiete, auf eine Umwelt, die mit unserem wachsenden Appetit auf Rohstoffe tranchiert, ausgebaggert und geschabt wird.
Der L.S. Zyklus basiert auf persönlichen Erfahrungen, Empfindungen, Gedanken und etymologischen Überlegungen, die ich gestalterisch interpretiere. Mir erscheint das in Landschaft enthaltene idg. Verb „*skab“ als eines der bedeutungsvollsten in der Genese der menschlichen Kultur und Zivilisation – ein Wende- oder ein Startpunkt. Mit dem Fruchtschnitt wird ein wilder Apfelbaum zu einem domestizierten, ertragreicheren Baum im Garten - durch Schnitt und Schaben wird aus einem Ast ein Pfeil.
Schaben bestimmt als zentraler Artefakt die L.S. Serie. Spachteln und ganz unterschiedliche Kratzutensilien treten an die Stelle des Pinsels, werden in ihrer Funktion zu Analogien der Begriffsbedeutung. Syntaktische Aspekte der Bildrealisierung verschieben sich zu semantischen Aspekten: Farbschicht sedimentiert über Farbschicht, palimsestartiges Schaben bringt zum Teil Älteres wieder zum Vorschein – der ganze Herstellungsprozess führt zu schrundigen, geschundenen Oberflächen, alles auf einem Maltuch aus grobem, fehlerhaftem Kampfanzugstoff (vergl. Abb. 1). Das Bild ist hier nicht ein Fenster zur Natur (mimetisch), sondern ein Fenster über die Natur/Kultur, wo Druck und Gegendruck, Auftragen und Schürfen rivalisierend Chaos oder Gestalt erzeugen.
Anfänglich verlief der Prozess nicht geradlinig, ausser dass ich die eingeschlagene Richtung meiner Farbtechnik grundlegend beibehielt, diese jedoch mit unterschiedlichen Geräten und Verfahren (z.B. unterschiedliche Farbsubstanzen, Verdünnungen, Trocknungszeiten, Schichtdicken und Schichtfolgen, verschiedene Spachtelhärten, –grössen und Kratzinstrumente, Tellerschleifmaschine,...) experimentierend verfeinerte.
Der Bildfindung öffnete sich ein weites Feld von Möglichkeiten, von denen ich viele fallen liess – andere musste ich erproben, bis ich einsah, dass sie nicht weiterführten. Mit Hilfe des Computers war es mir möglich, Entwurfsvarianten heuristisch durchzuspielen, um Holzwege schnell als solche aufzuspüren (vergl. „Landschaft? - Lend Skab“, „Aus dem Skizzenbuch“, Abb.f). Obwohl die nichtvirtuelle, direkte Auseinandersetzung mit dem Material aufwendiger war als die Arbeit am Mac, brachte sie mehr Erfahrung und Erkenntnis und stellte sich mental wie auch physisch als spannender und befriedigender heraus. Bei gewissen frühen Bildern der Serie sind noch gegenständliche Assoziationen und illusionistische Elemente erkennbar (vergl. Abb. 3, 5, 6, 7), die zum Teil auf die Idee zurückgehen, Landschaft wortwörtlich als Land – Schaft (Schaft im Sinne von Scaft – Ausgehöhltes, Gestell, Schrank) zu interpretieren. Im Verb *skab steckt neben oben bereits erwähnten Bedeutungen „schälen, schöpfen“ auch „ordnen“ (Vergl. auch old engl. *scapan-shape im Sinne von ordain). Der Schrank ist ursprünglich etwas Ausgeschältes und schneidet zugleich aus dem Chaos des häuslich Angesammelten aus: Hier werden Objekte überschaubar eingeordnet und stehen untereinander in neuen Beziehungen. Im „Land –Schaft“ bestünde die Möglichkeit, Versatzstücke einer Landschaft, wie z.B. Wiesenstücke, Wasser-, Baum- oder Bergfragmente wie Trophäen im Kasten oder Ware in Supermarktregalen zu präsentieren, analog zu Bildern von Poussin, Lorrain, Rosa, Friedrich..., mit denen die Maler ebenso – zwar mit andern Vorzeichen, Ideen und Stilmitteln - Landschaftsversatzstücke, Idyllen oder feierlich gestimmte Natur in Szene setzten.
Die plattenartigen Bildelemente der früheren Arbeiten entstanden, abgesehen von Assoziationen zu Schrankteilen, auch assoziativ zu sequenzierten Räumen, Schiebekulissen einer Bühne, Schleusen, zersägten Felsen oder Fassaden einer potemkinschen Gegend. Alles ist auf einem Raster (vergl. „Aus dem Skizzenbuch“ Abb. b) aus ganzzahligen Verhältnissen (Terzen, Quarten, Quinten, Oktaven) aufgebaut, die in der Ästhetik der Renaissancearchitektur oder in der Musik eine wesentliche Rolle einnehmen, hier aber nicht eigentlich zum Ausdruck kamen. Trotzdem behielt ich das präfigurative Kompositionsschema bei, weil dadurch die Option bestand, die Bilder ohne gravierende Anschlussprobleme, als Module zu grösseren Komplexen zu vereinen. Die illusionistischen Mittel liess ich später fallen. Anfänglich fungierten sie als Trompe-l’œil, als Auslöser des Eindrucks von Rissen, Verwerfungen, Platten im eigentlich flachen Tafelbild: Eine Idee, die Illusion der Raumtiefe – eine der tragenden Säulen des traditionellen Landschaftsbildes – dem näher tretenden Betrachter wieder zu entreissen.
Im Verlauf des L.S. - Prozesses verloren für mich Ausgangslage und ursprüngliche Intentionen zugunsten einer differenzierten Farberscheinung an Bedeutung. Das Interesse galt zunehmend den - je nach Schichtdicke, Schichtaufbau, Schabintensität - unterschiedlich absorbierenden und reflektierenden Lichtwirkungen der Farbmaterie und den raumgreifenden Eigenschaften der Farbklänge. Ich beabsichtigte auch, einzelne Module zu grösseren Komplexen zu vereinen und so eine „offene Komposition“, eine letztendlich nie fertige Arbeit zu realisieren, deren Rhythmen, visuellen Flächengewichte und Farbharmonien individuell veränderbar sind. Abb. 8 (vergl. „Aus dem Skizzenbuch“ Abb. b) zeigt die Möglichkeit einer Kompilation von 6 Elementen aus der Serie von 22 gleichartigen Modulen, die auf jeder Seite optische Anschlüsse bieten. Durch Permutationen ergäben sich bei dieser Anordnung 53'721’360 verschiedene Tafeln (Variation ohne Wiederholung n! / (n-k)! d.h. 22!/ 16!). Bei Zulassung einer Rotation um 180° wäre eine Wahl aus 1'181'869’920 zu treffen. Die Zahl der Möglichkeiten ist noch wesentlich grösser, wenn gleichzeitig mehrere Module gedreht und andere Drehungen gewählt würden.
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Bildnerische Tätigkeit ist für mich einerseits ein herausforderndes, spannendes, zweckfreies Spiel, bei dem ich ohne Fremdbestimmung, auch ohne grossen technischen Aufwand mit immanenten Sachzwängen, sehr direkt mit meinen Händen schaffen, löschen, verändern, neu entwerfen oder mit einem einzigen Strich einen stabilen Kontext ins Wanken bringen kann. Anderseits ermöglicht mir die Tätigkeit – wie schon in den Gedanken zu „PasseVite“ ausgedrückt - Versenkung, Träume, mentale Aktivität, die mir Zeit und Raum öffnet um Leben zu reflektieren und - vielleicht auch andere und mich selbst zu finden. Sicher spielt hier auch das originäre menschliche Bedürfnis mit, sich auszudrücken. Die Frage nach Kommunikation ist dabei nicht vorrangig. Also arbeite ich für die Schublade? Dazu habe ich einen interessanten Textausschnitt von Barnett Newman gefunden ( aus: „The First Man Was an Artiste“, in: „Tiger’s Eye“, New York,1,1, Oktober 1947, S 57-60, übersetzt):
„....Des Menschen erster Ausdruck war ein ästhetischer Ausdruck, wie auch sein erster Traum. Das Sprechen war ein poetischer Schrei ohne Anspruch auf Kommunikation. Der Urmensch stiess seine Konsonanten hervor aus Ehrfurcht und Wut über seinen tragischen Zustand, über seine Selbsterkenntnis und über seine Ohnmacht angesichts der Leere... Das Menschliche an der Sprache ist Literatur und nicht Kommunikation. Der erste Schrei war ein Lied; die erste sprachliche Begegnung mit dem Nachbarn ein Schrei aus Stärke und feierlicher Schwäche, nicht die Bitte um einen Schluck Wasser....“
Für mich hat eigenständiges, nicht konkurrenzierendes Arbeiten Priorität, auch wenn es abseits von kulturellen Normen und Trends steht. Marktkonforme Stildogmen widerstreben mir. Sie biedern sich an, indem sie des Rezipienten Bedürfnisbefriedigung nach Wiedererkennung und Schubladisierung oft zu stark entgegenkommen. Nicht selten behindern sie die eher aufs Experiment ausgerichtete freie Entfaltung und reflektieren den tatsächlichen Pluralismus unserer Zeit ungenügend.
Meine Arbeit ist lückenhaft, bruchstückhaft, diskontinuierlich, wie mein Leben. Durch Fragen, ob ich gegen- oder ungegenständlich oder überhaupt noch malen dürfe, lasse ich mich nicht einengen. Es gibt Phasen, in denen ich sehr nahe am Objekt arbeite, alles in meiner kleinen Welt implodiert, wo ich in schwierigen Zeiten nicht anders kann, als mich am unscheinbaren Objekt festzuklammern, mich in meine vier Wände zurückziehen muss, um mich zu sammeln, zu erden. Dann wieder Phasen, in denen sich das Objekt auflöst, verschwindet, wo Objekte nur noch Farbmaterie und Bildgrund sind oder nicht mehr sichtbar, nur noch akustisch als Arbeitsgeräusche ab Magnetband hörbar sind (Tonprotokolle L.S.).
Phasen oder Arbeitszyklen breche ich oft abrupt ab, weil mich neue Beobachtungen, Ereignisse, veränderte Lebenssituationen, andere Betrachtungsweisen beschäftigen. Vermeintlich abgeschlossene Zyklen habe ich aber manchmal nach Jahren, mit andern Erfahrungen und Erkenntnissen wieder aufgegriffen, als ob ich mich auf einer Spirale bewegen würde – so etwa der Zyklus „Lend-skab“, Landschaft, den ich hier mit Skizzen und Notizen etwas breiter wiedergebe.
ZUM ZYKLUS „LEND SKAB“ (LANDSCHAFT, L.S.) (H.G. 2010)
Meine erste analytische Auseinandersetzung mit der Ästhetik einer Landschaft verlief nicht über die Kunstgeschichte, sondern über architektonische Planungsprobleme an der ETH, wo die Dozenten Alfred Roth, Jaray und Hösli versuchten, uns unerfahrene Adepten für ein rücksichtsvolles Zwiegespräch zwischen Architektur und Natur zu sensibilisieren. Ich erinnere mich, wie wir über natürliche Räume, Gliederung und Sprache der Landschaft, Bauvolumina und natürliche Tektonik diskutierten und Entscheide von Baubehörden nicht verstanden, die grobe Terrassierungen zuliessen. Später, in kunstgeschichtlichen Studien, interessierte mich die Entwicklung der Landschaftsdarstellung von der untersten Stufe in der Hierarchie der darstellungswürdigen Motive des Trecentos hin zu einem spannenden und umfassenden Genre der Malerei. Obwohl mir bewusst wurde, wie vielfältig und weitläufig sich Ausdrucksmöglichkeiten und Experimentierfelder im Bereich Landschaft eröffnen, Landschaftsmalerei aber auch zum Topos von Galerien und Museen geworden ist, sich unzählige Bildtitel auf Orts- oder Landschaftsbezeichnungen beziehen und obwohl ich zu wissen glaubte, was unter Landschaft zu verstehen sei, wollte ich nicht einen Begriff verwenden, der mir plötzlich fragwürdig erschien.
Der Begriff Landschaft impliziert den Verweis auf etwas Gewalttätiges. Die Dichotomie Natur-Kultur schlägt hier durch: Sich Welt aneignen, bebauen, ausbeuten, sesshaft werden, setzen, sitzen, besitzen gehören dazu – kulturelle Leistungen, die auf den Übergang vom nomadisierenden Seth zum sesshaften Osiris verweisen. Sprachgeschichtlich betrachtet vollzieht sich im Wort Landein Wandel vom freien Land zum beherrschten Gebiet. Etymologisch geht Land auf das indogermanische „*lendh“ - freies Land, Heide, Steppe, zurück, russisch „ljada“ – Rodland, schlechter Boden, tsch. „Lada“, schw. „linda“ – Brache. Im germ. bezeichnet Land Staatsgebiet, im M.A. Gebiet einheitlichen Rechts, Rechtsverband, der das Land bebauenden und beherrschenden Leute. Geht vielleicht das englische „to lend“ auf geliehenes Land zurück?
"Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen »Dies gehört mir« und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: »Hütet euch, dem Betrüger Glaubenzu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört«." (Rousseau, 1750, Discours)
Im Wort Landschaft steckt auch das idg. „sqab“, „skap“, „skab“ – schaben, schneiden, kratzen, schnitzend gestalten, Geschabtes. Gr. skepton (skepton) - Stab (ist dies nicht das aus dem Zweig Geschnittene ?) skapos (skapos) – Zweig, lat. Scapus – Schaft, ahd. Skaft – Speer, „skaf“, „skaffan“ – schaben, aushöhlen, schöpfen, schaffen, „scape“, „shape“, „scapan“(old english) – engl. „create“, „form“, „ordain“...
In meinen früheren Arbeiten, den „synthetischen Landschaften“, sind zum Teil Empfindungen mit im Spiel, die auf Wahrnehmungen einer sich schnell verändernden Umwelt basieren. Als Angehörige der Nachkriegsgeneration erlebten wir seit den Fünfzigerjahren einen Wirtschaftsboom mit seinen Folgen: zunehmende Bevölkerungsdichte, steigende Ansprüche nach grösseren Wohnflächen, überhitzte Bautätigkeit (was auch zum Bundesbeschluss vom 13. März 1964 über die Bekämpfung der Teuerung durch Massnahmen auf dem Gebiete der Bauwirtschaft/Baustopp führte, 1965 vom Volk gutgeheissen wurde - und war auf persönlicher Ebene ein nicht unwesentlicher Grund, mich hinsichtlich des gewählten Berufsziels neu zu orientieren),sowie eine explodierende Mobilität.
Wo wir als Kinder Wiesen durchstreiften, uns an Hecken und Bäumen orientierten, beim Verschieben von Steinplatten darunterliegende Blindschleichen entdeckten und sie, auf Distanz gehend, als gefährliche Giftschlangen einstuften – ist heute alles überbaut; Lärmschutzwände, Asphalt dominieren und anstatt Giftschlangen beängstigen Autoschlangen jetzt die Kinder.
Der erhabene Schauer vor den in den letzten Strahlen aufglühenden Berggipfeln des St. Gotthards wird heute durch tiefer Liegendes ausgelöst: Blicke auf Tunneleingänge, auf Felsen fressende Monster, Kompressoren, Täler füllende Betonpisten, Blicke auf Schürfgebiete, auf eine Umwelt, die mit unserem wachsenden Appetit auf Rohstoffe tranchiert, ausgebaggert und geschabt wird.
Der L.S. Zyklus basiert auf persönlichen Erfahrungen, Empfindungen, Gedanken und etymologischen Überlegungen, die ich gestalterisch interpretiere. Mir erscheint das in Landschaft enthaltene idg. Verb „*skab“ als eines der bedeutungsvollsten in der Genese der menschlichen Kultur und Zivilisation – ein Wende- oder ein Startpunkt. Mit dem Fruchtschnitt wird ein wilder Apfelbaum zu einem domestizierten, ertragreicheren Baum im Garten - durch Schnitt und Schaben wird aus einem Ast ein Pfeil.
Schaben bestimmt als zentraler Artefakt die L.S. Serie. Spachteln und ganz unterschiedliche Kratzutensilien treten an die Stelle des Pinsels, werden in ihrer Funktion zu Analogien der Begriffsbedeutung. Syntaktische Aspekte der Bildrealisierung verschieben sich zu semantischen Aspekten: Farbschicht sedimentiert über Farbschicht, palimsestartiges Schaben bringt zum Teil Älteres wieder zum Vorschein – der ganze Herstellungsprozess führt zu schrundigen, geschundenen Oberflächen, alles auf einem Maltuch aus grobem, fehlerhaftem Kampfanzugstoff (vergl. Abb. 1). Das Bild ist hier nicht ein Fenster zur Natur (mimetisch), sondern ein Fenster über die Natur/Kultur, wo Druck und Gegendruck, Auftragen und Schürfen rivalisierend Chaos oder Gestalt erzeugen.
Anfänglich verlief der Prozess nicht geradlinig, ausser dass ich die eingeschlagene Richtung meiner Farbtechnik grundlegend beibehielt, diese jedoch mit unterschiedlichen Geräten und Verfahren (z.B. unterschiedliche Farbsubstanzen, Verdünnungen, Trocknungszeiten, Schichtdicken und Schichtfolgen, verschiedene Spachtelhärten, –grössen und Kratzinstrumente, Tellerschleifmaschine,...) experimentierend verfeinerte.
Der Bildfindung öffnete sich ein weites Feld von Möglichkeiten, von denen ich viele fallen liess – andere musste ich erproben, bis ich einsah, dass sie nicht weiterführten. Mit Hilfe des Computers war es mir möglich, Entwurfsvarianten heuristisch durchzuspielen, um Holzwege schnell als solche aufzuspüren (vergl. „Landschaft? - Lend Skab“, „Aus dem Skizzenbuch“, Abb.f). Obwohl die nichtvirtuelle, direkte Auseinandersetzung mit dem Material aufwendiger war als die Arbeit am Mac, brachte sie mehr Erfahrung und Erkenntnis und stellte sich mental wie auch physisch als spannender und befriedigender heraus. Bei gewissen frühen Bildern der Serie sind noch gegenständliche Assoziationen und illusionistische Elemente erkennbar (vergl. Abb. 3, 5, 6, 7), die zum Teil auf die Idee zurückgehen, Landschaft wortwörtlich als Land – Schaft (Schaft im Sinne von Scaft – Ausgehöhltes, Gestell, Schrank) zu interpretieren. Im Verb *skab steckt neben oben bereits erwähnten Bedeutungen „schälen, schöpfen“ auch „ordnen“ (Vergl. auch old engl. *scapan-shape im Sinne von ordain). Der Schrank ist ursprünglich etwas Ausgeschältes und schneidet zugleich aus dem Chaos des häuslich Angesammelten aus: Hier werden Objekte überschaubar eingeordnet und stehen untereinander in neuen Beziehungen. Im „Land –Schaft“ bestünde die Möglichkeit, Versatzstücke einer Landschaft, wie z.B. Wiesenstücke, Wasser-, Baum- oder Bergfragmente wie Trophäen im Kasten oder Ware in Supermarktregalen zu präsentieren, analog zu Bildern von Poussin, Lorrain, Rosa, Friedrich..., mit denen die Maler ebenso – zwar mit andern Vorzeichen, Ideen und Stilmitteln - Landschaftsversatzstücke, Idyllen oder feierlich gestimmte Natur in Szene setzten.
Die plattenartigen Bildelemente der früheren Arbeiten entstanden, abgesehen von Assoziationen zu Schrankteilen, auch assoziativ zu sequenzierten Räumen, Schiebekulissen einer Bühne, Schleusen, zersägten Felsen oder Fassaden einer potemkinschen Gegend. Alles ist auf einem Raster (vergl. „Aus dem Skizzenbuch“ Abb. b) aus ganzzahligen Verhältnissen (Terzen, Quarten, Quinten, Oktaven) aufgebaut, die in der Ästhetik der Renaissancearchitektur oder in der Musik eine wesentliche Rolle einnehmen, hier aber nicht eigentlich zum Ausdruck kamen. Trotzdem behielt ich das präfigurative Kompositionsschema bei, weil dadurch die Option bestand, die Bilder ohne gravierende Anschlussprobleme, als Module zu grösseren Komplexen zu vereinen. Die illusionistischen Mittel liess ich später fallen. Anfänglich fungierten sie als Trompe-l’œil, als Auslöser des Eindrucks von Rissen, Verwerfungen, Platten im eigentlich flachen Tafelbild: Eine Idee, die Illusion der Raumtiefe – eine der tragenden Säulen des traditionellen Landschaftsbildes – dem näher tretenden Betrachter wieder zu entreissen.
Im Verlauf des L.S. - Prozesses verloren für mich Ausgangslage und ursprüngliche Intentionen zugunsten einer differenzierten Farberscheinung an Bedeutung. Das Interesse galt zunehmend den - je nach Schichtdicke, Schichtaufbau, Schabintensität - unterschiedlich absorbierenden und reflektierenden Lichtwirkungen der Farbmaterie und den raumgreifenden Eigenschaften der Farbklänge. Ich beabsichtigte auch, einzelne Module zu grösseren Komplexen zu vereinen und so eine „offene Komposition“, eine letztendlich nie fertige Arbeit zu realisieren, deren Rhythmen, visuellen Flächengewichte und Farbharmonien individuell veränderbar sind. Abb. 8 (vergl. „Aus dem Skizzenbuch“ Abb. b) zeigt die Möglichkeit einer Kompilation von 6 Elementen aus der Serie von 22 gleichartigen Modulen, die auf jeder Seite optische Anschlüsse bieten. Durch Permutationen ergäben sich bei dieser Anordnung 53'721’360 verschiedene Tafeln (Variation ohne Wiederholung n! / (n-k)! d.h. 22!/ 16!). Bei Zulassung einer Rotation um 180° wäre eine Wahl aus 1'181'869’920 zu treffen. Die Zahl der Möglichkeiten ist noch wesentlich grösser, wenn gleichzeitig mehrere Module gedreht und andere Drehungen gewählt würden.
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